Ein Essay. Von Hannah Richlik
Van Gogh – zu Lebzeiten verstoßener Künstler, zählt heute zu einer der bedeutendsten und begehrtesten Maler am Kunstmarkt. Monet – viele Jahre lebte er am Existenzminimum, bis sein Werk erst zu späteren Lebzeiten anerkannt wurde. Heute gelten beide Maler zu den Wegbereitern der Moderne.
Allzuoft wird dabei vergessen, dass diese mit ihrer Kunst anfangs auf Unverständnis, sogar Verachtung in der Gesellschaft stießen. Wo bleibt die Revolution der Kunst im Jahr 2020?
Angelangt im Jahre 1962 in Wien: Die Geburtsstunde des Wiener Aktionismus. Hermann Nitsch realisiert mit Otto Muehl und Adolf Frohner Die Blutorgel, eine mehrtägige Performance, bei der sich die drei Künstler zuerst im Keller ihres Ateliers im 20. Wiener Gemeindebezirk einkerkern lassen. Am dritten und letzten Tag der Kunstperformance kreuzigen sie ein totes Lamm, das die drei Künstler ausweiden und in die Wand mauern. Heute gibt es mit dem Nitsch-Museum in Mistelbach/Niederösterreich nun wenige Jahrzehnte später eine Art Akzeptanzstätte – wenn auch nur eines Teils – des Staates und der Gesellschaft. Die Performance ist längst in Geschichtsbücher eingegangen.
Sehen wir uns die Kunst der Postmoderne an, ist der Markt, ist die Bandbreite an Kunst, die Menschen aufrüttelt, gesättigt. Liegt das nicht auch an den Menschen, die an der Fülle von Informationen und Bildern über Krieg, Flüchtlinge, Tod und Sex gesättigt sind?
Wie könnte eine Kunst, die das Thema betrifft aussehen? Besteht sie aus Aktionen, Aktivismus oder gar einer Rückkehr zu altem Handwerk, zur Wiederbelebung von ursprünglichen Formen der Kunst?
Oder besteht sie gar in einer weiteren Ausweitung der Postmoderne, in einer Ausweitung der Kampfzone, wie es schon Michel Houellebecq in seinem im Jahr 1994 erschienen Buch postulierte:
„In einem völlig liberalen Wirtschaftssystem häufen einige wenige beträchtliche Reichtümer an; andere verkommen in der Arbeitslosigkeit und im Elend. In einem völlig liberalen Sexualsystem haben einige ein abwechslungsreiches und erregendes Sexualleben; andere sind auf Masturbation und Einsamkeit beschränkt. Der Wirtschaftsliberalismus ist die erweiterte Kampfzone, das heißt, er gilt für alle Altersstufen und Gesellschaftsklassen. Ebenso bedeutet der sexuelle Liberalismus die Ausweitung der Kampfzone, ihre Ausdehnung auf alle Altersstufen und Gesellschaftsklassen.“
– Michel Houellebecq: Ausweitung der Kampfzone
Sieht man sich die österreichische Gesellschaft an, ist diese vom Wirtschaftsliberalismus geprägt. Sie driftet diese gerade in zwei Lager: einerseits in eine freie, offenere Gesellschaft, andererseits auch in eine Rückkehr hin zum Konservatismus. Jede Bewegung hat ihre Gegenbewegung.
Unterschiedliche Strömungen, die Vermischung von Stilen sind in der Postmoderne zu beobachten. Das Nebeneinanderherleben von unterschiedlichen Kunst- und Kulturformen ist möglich und akzeptiert. Darin liegt die Freiheit einer demokratischen Gesellschaft.
Trotz dieser Freiheiten existieren in Österreich, einem der reichsten Länder der Erde, weiterhin gravierende Probleme: Armut, die Gehaltsschere zwischen Frauen und Männern, der Mangel an Pflegekräften – und der Klimawandel. Wenn Kunst als Spiegel der Gesellschaft verstanden werden soll, dann hat sie zur Aufgabe, sich diesen Themen anzunähern: der Kritik des Wirtschaftsliberalismus in erster Linie und einhergehend damit der Gleichstellung der Frauen in allen Bereichen, der Gleichstellung aller Menschen egal ihrer Herkunft, sexuellen Orientierung, sozialen Herkunft und ihres Bildungsstands und dem Klimawandel als Folge des Wirtschaftsliberalismus.
Noch nie gab es einen so großen Kunstmarkt wie heute. 2010 hatte der internationale Kunstmarkt ein Volumen von rund 43 Milliarden Euro. Doch wer bestimmt den Wert eines Kunstwerkes?
Galeristen, Private, Kunstagenten, Kunsthändler und der Künstler selbst bilden heute den Wert eines Kunstwerks.
Die Kunst selbst ist Teil des wirtschaftsliberalen Systems geworden. Ein Austritt aus diesem wäre ein Anfang einer möglichen Revolution der Kunst.