„Hier geht es um Krieg, um Söldnertum, um die Verteidigung von Systemen“

Kuratorin und Künstlerin Karin Mairitsch im Interview mit 0816 über die Ausstellung „Die dunkle Seite des Löwen“ in Luzern, exzessive Vielfalt in der Kunst und die Diskussion um das Lueger-Denkmal in Wien.

Was ist für dich die dunkle Seite des Löwen?

Die dunkle Seite des Löwen ist die, wo Vermächtnisse in den Stillstand geraten sind. Wenn wir mit Geschichte nicht aktiv umgehen und sie nicht für uns als Lernprozess nutzen, dann wird sie auch zur dunklen Seite. Wenn etwas nicht erinnert, falsch erinnert oder verfälscht wird, dann ist sie wie eine dunkle Masse, und wir verstehen nicht, woher wir kommen, und damit können wir aber auch nicht verstehen, wohin wir gehen. Das ist die dunkle Seite des Löwen für mich.

Die dunkle Seite des Löwen (c) Kilian Bannwart 2020
Die dunkle Seite des Löwen in der Luzerner Kunsthalle (c) Kilian Bannwart 2020

Inwieweit passiert dies gerade in Europa oder weltweit?

Wir können nicht alles im Gedächtnis behalten. Doch wurde vieles an Gedächtniskultur in den öffentlichen Raum gestellt, wie zum Beispiel der Löwe, der den Tod von Söldnern gedenkt, die ziemlich reaktionär die Aristokratie zu einem Zeitpunkt verteidigt haben, wo schon die demokratischen Werte aufkeimend waren. Und es ist doch so, dass hier wie in Europa vieles an Geschichte im Dunkeln begraben liegt und zu wenig über Deutungshoheiten, die mit der Setzung von Denkmälern einher gehen, reflektiert wird. Auch hier vor Ort wissen die Wenigsten, wofür das Denkmal steht. So passiert, dass darüber hinweggegangen wird, dass auch die Schweiz in ihrer Geschichte das Söldnertum und andere dunkle Flecken hat, die man bearbeiten könnte oder müsste, um daraus zu lernen, was wir vielleicht jetzt etwas besser machen könnten.

Die Schweiz hat in ihrer Geschichte das Söldnertum und andere dunkle Flecken, die man bearbeiten könnte oder müsste, um daraus zu lernen, was wir vielleicht jetzt etwas besser machen könnten.

In Wien wurde vor kurzem das Lueger-Denkmal von Rechtsextremisten beschmiert – wie empfindest du das?

Also grundsätzlich ist für mich sowieso fragwürdig, wieso dieses Denkmal, das jetzt an die 100 Jahre alt ist, immer noch dort steht, ohne kontextualisiert zu werden. Österreich hat ja wirklich viele Versäumnisse in der Aufarbeitung seiner Geschichte, insbesondere den Beitrag, den Österreich zum Zweiten Weltkrieg und zum Antisemitismus geleistet hat. Es ist eines von einigen Denkmälern, die nicht weiter hinterfragt werden, und das ist natürlich wirklich ein Problem. Das ist genau dieses Versäumnis, eben diese dunkle Seite von Denkmälern. Würde man sich aktiver mit Geschichte auseinandersetzen, würde man Geschichte als etwas begreifen, dass zum Lernen beiträgt und weiter kontextualisiert werden muss, dann würden solche Dinge wahrscheinlich nicht auf diese Weise passieren. Dann wäre in unserem kollektiven Gedächtnis der Lernprozess wohl mehr verankert als irgendwelche Ideologien.

Wie hat sich die Mehrjahresausstellung L21 ergeben?

Das Projekt Löwendenkmal 21 ist auf vier Jahre angelegt, nächstes Jahr ist das 200-jährige Jubiläum des Denkmals. 2017 hat sich die Kunsthalle Luzern überlegt, dass sie das Denkmal gern in einer Art Ausstellungs- und Veranstaltungsreihe kontextualisieren wollen. In den ersten zwei Jahren hat Peter Fischer als Kurator das Projekt geleitet. Als man mir die Projektleitung für 2020 anbot habe ich lange überlegt, denn ich muss gestehen, davor war der Löwe nicht mein Lieblingsdenkmal. Ich bin ganz selten hingegangen, weil mein Bezug zum Denkmal nicht der engste war, und hab mir dann gedacht, wieso nicht?

Hier geht es um Krieg, hier geht es um Verteidigung von Systemen, hier geht es um Söldnertum, hier geht es um Politik, hier geht es um Gesellschaft, hier geht es um Erinnerungskultur. Ich hab‘ aber von Vornherein gesagt, dass ich nichts Braves oder Angepasstes machen, sondern engagierte Kunst zeigen möchte. Natürlich haben sich von der Konzeption bis zur tatsächlichen Durchführung nicht zuletzt durch die Corona-Krise Änderungen ergeben. Beispielsweise hat die Arbeit in der Ausstellung „The Lion’s Lockdown“ die Leitsprüche, die während des Lockdowns dauernd wiederholt wurden und in der Zeit danach bis jetzt ins Gedächtniseingegraben werden, wie „Abstand halten, Hände waschen, zu Hause bleiben“ vor dem Denkmal in einer Performance und Fotoserie zum Thema gemacht. Das sind Dinge, die prozessual passieren.

Hast du ein Lieblingsdenkmal oder wie ist dein Bezug zu Denkmälern?

Ich gehe nicht gerne zu Denkmälern. Ich gehe gern in Ausstellungen, ich gehe gern in Museen, ich erlebe gerne, wie an diesen Orten Erinnerungsordnungen, Kunst und Geschichte vermittelt wird. Denkmäler selber sind nicht meine Sache. Ich bin auch nicht die, die wahnsinnig viel geschichtliches Wissen hat. Ich hab gar keine Lieblingsdenkmäler, auch keine, die ich völlig ablehne. Für mich ist sind Denkmäler Artefakte der Geschichte des jeweiligen Ortes und Anlass zum Reflektieren bzw. Kontextualisieren. Wenn ich dann hingehe, will ich natürlich schon wissen, was die Hintergründe sind.

Du hattest letztes Jahr eine Ausstellung im Zuge der L21 mit dem Titel „Die Gesten des Verschwindens“ – könntest du mir etwas darüber erzählen?

Ich habe letztes Jahr hier in der Kunsthalle Luzern an einer Gemeinschaftsausstellung “WANDNEBENWAND“ teilgenommen. Das Konzept war, dass jede Künstlerin eine Wand bekommt, über die sie frei verfügt. Ich wollte direkt an der Wand arbeiten, weil der Prozess direkt am großflächigen Material sehr authentisch ist und weil Wandmalerei eine sehr interessante kulturgeschichtliche Implikation hat. Ich wollte außerdem nicht schon wieder irgendwelche Bilder schaffen, die dann in irgendwelchen Archiven gelagert werden. Mein Konzept war, die Aquariums-Situation der Kunsthalle dafür zu nutzen, mit den Besucher*innen in Kontakt zu treten, ihre Gesten und Äußerungen aufzufangen, diese Impulse an die Wand zu bringen, um sie am nächsten Tag mit den nächsten Impulsen zu überschreiben. Ein ständiger Überschreibprozess. Kommen und Gehen, Erscheinen und Sich-Verflüchtigen, Kommunikation und Interaktion als ein Prozess des Wandels, sozusagen ein Stirb-Werdeprinzip. Hauptsächlich waren es Unterhaltungen, die ich eingefangen habe. Einzelne Sätze, manchmal Fragen an das Publikum, aber auch Impressionen in Farben und in Formen. Ich hab die Wand genutzt, diese zu notieren, um sie hernach zu übermalen oder etwas wegzuschleifen, das ging einen Monat. Die Wand war mehr als 6 Meter lang und über 3 Meter hoch. Ich hab diese Höhenmeter hier überwältigt – und das trotz Höhenangst.

„Die Gesten des Verschwindens“ – die Ausstellung von Karin Mairitsch war letztes Jahr in der Kunsthalle Luzern zu sehen (c) zur Verfügung gestellt

Hast du Angst vor der Zukunft oder vor der politischen Situation in Europa?

Ja, sehr. Ich bin sehr glücklich, dass ich in der Schweiz bin. Es ist fast ein bisschen ein Exil. Ich warin Österreich spätestens mit den ausgehenden 90er Jahren politisch angstbesetzt. Als dann Schüssel die FPÖ in die Regierung geholt hat, war das wie ein Startschuss. In rasanter Geschwindigkeit hat sich eine Veränderung in der politischen Kultur und vor allem im Umgang mit Sprache bemerkbar gemacht. Plötzlich waren Aussagen und Zuschreibungen salonfähig, die davor in heftige Kritik geraten wären. Als Beleg habe ich damals die Nachrichten im Fernsehen aufgenommen und gemerkt, dass sich binnen kürzester Zeit die Tonalität verändert hat. Wie man über Ereignisse und bestimmte Personengruppen sprach ist enthemmter, polarisierender und skandalisierter geworden. Ich habe das auch in Kunstaktionen im öffentlichen Raum zu thematisieren versucht. Seitdem ist es so, dass ich mich politisch in diesem Land nicht sicher fühle. Die Demokratie in Österreich ist, finde ich, labil. Auch in Europa insgesamt ist es heikel, weil es momentan weltweit eine Akkumulation von politischen Akteuren gibt, die ich als gefährlich für den Frieden, für die Demokratie, für die Frauenrechte und nicht förderlich im Kampf gegen Diskriminierung, Rassismus und den Klimawandel einstufe. Der Lockdown war zum Beispiel für mich eine Art von Weckruf. Leider wurde er mit medialen Hysterien verdeckt. In Österreich wurde die mediale und politische Kommunikation im Vergleich zur Schweiz sehr angstbesetzt geführt. Es hat einen massiven Unterschied zwischen Österreich und der Schweiz gegeben, wie man über die Pandemie und Schutzmaßnahmen spricht. In Österreich wurde sehr über Angstrhetorik gesteuert. Hier in der Schweiz weniger, hier mehr über Bitten, Aufklärung und Information. Ich finde Europa macht eine kritische Entwicklung durch.

Seitdem ist es so, dass ich mich politisch in diesem Land nicht sicher fühle. Die Demokratie in Österreich ist, finde ich, labil.

Wie nimmst du den Umgang mit Künstler*innen im Moment wahr?

Ich finde den Umgang mit Künstler*innen eine schiere Frechheit. Ihre Arbeit wird nicht oder zu wenig bezahlt und damit im Grunde nicht geschätzt. Wenn ihre Arbeit bezahlt wird, dann so, dass esdie überwiegende Mehrheit der Künstler*innenschaft in das Prekariat und in die Armut treibt. Gleichzeitig wollen die Menschen in ihren Sinnen, in ihrer Reflexionsfähigkeit und im Denken stimuliert werden. Kunst ist Teil unseres Mensch-Seins. Alle wollen Musik, Theater, Geschichten, Ausstellungen und auch visuell angeregt werden. Aber es ist dem meisten nichts wert. Das ist ein Zustand, der inakzeptabel ist. Ich frage mich oft, wieso sich nicht alle Künstler*innen zusammenschließen und einfach nichts mehr tun, solange, bis wir – wie jede*r andere auch – anständig für unsere Arbeit bezahlt werden. Die Förderungen sind häufig so ausgerichtet, dass sie die Leistungen der Künstler*innen nicht ausfinanzieren, woraufhin dann die Künstler*innen um zwei bis vielleicht fünfzehn Euro in der Stunde arbeiten. Das geht nicht, davon kann man nicht existieren. Es müssen einfach vernünftige Löhne gezahlt werden. Es hat womöglich viel politisches Kalkül. Die Wähler*innenschaft hat wahrscheinlich wenig Verständnis dafür, dass mehr Geld in Kunst und Kultur fließt. Künstler*innen sind natürlich auch für politische Systeme gefährlich, weil sie anders handeln, anders denken und zu anderen Erkenntnissen und Lösungen kommen. Kunst ist demokratiefördernd. Sie ist auch systemerhaltend. Wir wissen, in welchen Ländern die Rede- und Pressefreiheit wie auch die künstlerische Freiheit eingeschränkt sind. Was sind das für Länder? Wir steuern mit der Art, wie wir mit Künstler*innen umgehen, genau auf diese Zustände hin. Wollen wir das? Und ja, ich bin für ein Grundeinkommen für Künstler*innen. Anders wird das nicht gehen. Jetzt schon generieren die Creative Industries wahnsinnig viel Geld, was aber nicht ausreichend gewürdigt wird. Hat sich denn schon mal wer überlegt, dass es auf die Jahrzehnte gesehen gemessen am Leistungsprinzip, wie es jetzt definiert ist, nicht genügend Arbeit für alle geben wird? Wir werden mehr Zeit haben. Und das sagt ja auch die Geschichte. Wir arbeiten weniger als unsere Vorfahren. Und ich bin sicher: es wird noch weniger werden. Die Frage ist, was machen die Leute mit ihrer Freizeit? Eine Verblödung können wir uns nicht leisten, weil sie zu extremen Positionen und wirtschaftlicher Instabilität führt. Das führt auch zu Unruhe, weil man im Leben nicht erfüllt ist. Da werden die Künste diejenigen sein, die sinnvolle Angebote bereitstellen. Ein Werk zu generieren ist sinnspendende Arbeit. Auf diese Weise können die Künste der Gesellschaft etwas zurückzugeben.

Von völlig exzessiven Kunstaktionen, die wahnsinnig provokativ sind, bis hin zu gegenständlichen Abbildungen. Ich bin für exzessive Vielfalt.

Denkst du, es ist Aufgabe der Kunst, ein politisches Zeichen zu setzen?

Die Kunst ist so vielfältig, dass man das nicht so apodiktisch sagen kann. Für mich ist es zum Beispiel enorm wichtig, eine politische Aussage zu tätigen. Je älter ich werde, desto wichtiger wird es mir. Ich persönlich schaffe nicht, rein ästhetisierende Werke zu schaffen. Das heißt aber nicht, dass das die generelle Aufgabe der Kunst sein sollte. Ich glaube, die Kunst muss möglichst vielfältig sein und möglichst viele Facetten bieten, damit die Vielfalt, die in den Menschen ist, einen Ausdruck und möglichst viel Resonanz findet. Wir vergessen gerne, dass das Einzige, was die Menschen überleben lässt, ihre Vielfalt ist. Die Künste sollten genau das tun. Von völlig exzessiven Kunstaktionen, die wahnsinnig provokativ sind, bis hin zu gegenständlichen Abbildungen. Ich bin für exzessive Vielfalt.

Karin Mairitsch bei ihrer Ausstellunsvorbereitung "Die Gesten des Verschwindens" in der Luzerner Kunsthalle (c) Kilian Bannwart KUHA
Karin Mairitsch bei ihrer Ausstellunsvorbereitung „Die Gesten des Verschwindens“ in der Luzerner Kunsthalle (c) zur Verfügung gestellt

Zur Person:

Karin Mairitsch, 1968 geboren in Klagenfurt/Österreich, ist Künstlerin und Kuratorin. Sie studierte Malerei an der Akademie der bildenden Künste in Wien und promovierte an der Kunstuniversität Linz. Von 2011 – 2015 war sie Vizedirektorin für den Bereich Bachelor & Vorkurs an der Hochschule Luzern – Design & Kunst, Vizerektorin der Fachhochschule Salzburg in der Zeit zwischen 2008 und 2011 sowie Studiengangsleiterin am Studiengang MultiMediaArt (Bachelor und Master), Fachhochschule Salzburg von 2003 – 2008. Als Aktivmitglied, von 2017 bis 2019 Co-Präsidentin bzw. von 2013 bis 2019 war sie Vorstandsmitglied der Visarte Zentralschweiz.

Mehr Infos über Karin Mairitsch findest du unter https://karinmairitsch.com

Alle Infos zum Mehrjahresprojekt „Die dunkle Seite des Löwen“ gibt es hier.

Credits Titelbild (c) Kilian Bannwart

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