Die Grafik der Natur

Bäume und Wald, Druckgrafik und Fotografie. Die Fotografin und Druckgrafikerin Barbara Herbst erzählt im Interview mit 0816 über ihre Wurzeln, was sie an der Arbeit mit Natur fasziniert und über ihre aktuelle Ausstellung „Graphic Nature“.

Liebe Barbara, was fasziniert dich an Bäumen und am Wald?

Warum mich die Bäume und die Reste von Natur so faszinieren in der Stadt, ist die Vorstellung, dass Europa einmal komplett bedeckt war mit Bäumen und Wald. Ich bin ein Waldmensch, ein Baummensch. Ich bin sehr für Baumologie. Man merkt, es gibt so viele Formen und Farben, ganz dichten Wald, dann immer weniger, zerfranster Wald. Der Wald strukturiert unsere Landschaft total. Wenn man in die Stadt kommt, zeigen sich nur mehr die Überreste. An Bäumen und Wald zeigt sich die Natur und der Eingriff des Menschen. Es gibt ganz viele Wälder, die einfach nur hochgezogen werden. Auf der anderen Seite wird so viel an Wald abgeholzt. Und da bleiben so traurige Überreste vorhanden. Das finde ich ein sehr spannendes und optisches Feld. Der verbaute und urbane Raum. Wo schafft sich die Natur ihren Weg, wo ist sie bereits domestiziert. Man hält sich sozusagen Bäume als Haustiere.

Bäume sind wie eine Art Blutsystem in unserer Umwelt. Bäume bringen ja Sauerstoff in das Leben und in die Stadt. Wenn man sich vorstellt, dass der Baum ein großes Blutgefäß, eine Aorta ist. Ich finde das eine total schöne Vorstellung. Der letzte Rest der Urwälder trägt noch immer dazu bei, dass unser Leben lebbar ist. 

Deine Ausstellung heißt “Graphic Nature”. Wie drückt sich die Natur grafisch aus?

Die Ausstellung besteht aus zwei Serien. Die eine nenne ich Graphic Nature. Die andere Serie heißt Urban Nature. Was mich an Bäumen und Zweigen reizt, wie man auch an den Fotografien sieht, ist das grafische Potenzial, das in der Landschaftsfotografie und in der Natur liegt. Fotografie hat etwas mit Grafik zu tun, das liegt schon im Wort selbst. Ein bisschen versuche ich, hier die Grenzen auszuloten zwischen Fotografie und Druckgrafik. Bei allem, was hier hängt, ist die Basis immer die Fotografie. Ich versuche diese dann in Druckgrafik umzusetzen. Hier sieht man das gut an den Zweigen. Da war die Fotografie schon selber so gestaltet. Die Serie der Fotografien heißt “Ink Drunk Twigs”, also tintentrunkene Zweige. Man weiß nicht genau, ist das jetzt eine Fotografie, ist das eine Tuschezeichnung oder hat man da Tusche aufs Papier geschmissen, damit sie so aussehen wie Zweige. Ich habe die Fotografien dann in verschiedene Techniken umgesetzt, in eine Radierung, eine Strichätzung, in Kaltnadelradierung. Und das hier ist sogar ein Siebdruck. Um so ein bisschen auszuloten, wie ändert sich das Motiv. Was macht es mit den Sachen. Wie wirkt es auf die Fotografie.

Graphic Nature (c) Barbara Herbst

Wie zeichnet sich deine künstlerische Arbeit aus? Was reizt dich an deiner Arbeit?

Das Übersetzen in etwas, was eine Oberfläche hat, was einen haptischen Wert hat, das reizt mich. Die meisten Fotografien von mir sind auf einem speziellen Papier ausgearbeitet, in unterschiedlichen Körnungen der Filme zum Beispiel. Hier bei diesem Bild kommen die grafischen Werte zum Vorschein. Viele, die das Bild betrachtet haben, waren sich nicht sicher, ist das jetzt eine Fotografie, ist das jetzt ein Druck. Das mag ich total, die Grenzen verschwimmen zu lassen. Es hat auch ganz viel mit Oberfläche und Struktur zu tun. Ich mag die Grenze zur Abstraktion, die Strukturen herauszuarbeiten. Das hat auch etwas sehr Grafisches.

Bist du ein naturverbundener Mensch?

Ja, ich bin ein naturverbundener Mensch. Wahrscheinlich auch, weil ich so aufgewachsen bin. Ich bin am Stadtrand aufgewachsen, beim Wiener Wald. Mein Vater hat viel draußen zu tun gehabt, mein Großvater war Förster. Mein anderer Onkel war Fischer. Ich glaube schon, dass ich in der Hinsicht extrem naturverbunden bin. Ich bin aber auch ein absolut ausgeprägter Stadtmensch. Es zieht mich total hinaus, aber ich brauche auch die Stadt. Das liegt nicht nur an der Infrastruktur. Nicht umsonst ist es bei mir auch die Urban Nature, das Spannungsfeld zwischen Natur und Raum, das mich interessiert. Stadt an sich finde ich auch sehr faszinierend. Ich glaube, ich brauche beides. Ich könnte mir nicht vorstellen, nur am Land zu leben. Aber in der Stadt bekomme ich auch regelmäßig den Koller, und muss raus. Nicht umsonst schlägt sich das in meinen Fotografien nieder.

Druck, Fotografie, Radierung – die Natur in ihrer grafischen Form (c) Barbara Herbst

Wie unterscheidet sich die Landschaftsfotografie von der Porträtfotografie? 

Es gibt Ähnlichkeiten und Unterschiede. Ein Baum, eine Landschaft läuft nicht davon. Ein Mensch bewegt sich. Ich finde Menschen einzufangen, zählt mit zu den schwierigsten Sachen. Es braucht manchmal Zeit für ein gutes Foto. Das sich als Fotograf zurückzunehmen und zu warten. In der Natur ist es, finde ich, ganz viel draußen zu sein. Und dann ein Gefühl zu bekommen, zu welcher Tageszeit das Licht auf eine bestimmte Art und Weise fällt. Wie reagiert das Licht. Da ist man an die Zeit gebunden und kann sich danach richten. Manches ist auch, einfach in der richtigen Sekunde am richtigen Fleck zu sein. Diesen Baum hier habe ich schon lange beobachtet, ich weiß, wie er reagiert. Aber die Aufnahme war so ein zufälliges aus dem Fenster sehen. Da gibt es genau die richtige Beleuchtung. Ich bin ins Zimmer gerannt, hab die Kamera geschnappt und hab die Aufnahme erwischt. Manchmal ist es auch so, man sieht einen Ausschnitt, eine Gegend, und wartet, bis die Lichtsituation richtig ist. Das ist eine Frage der Zeit, die Geduld zu haben, den richtigen Moment zu erwischen. Das gilt auch für Menschen.

Du machst auch Arbeitsporträts. Was begeistert dich daran?

Die Menschen während einer Tätigkeit festzuhalten. Das finde ich total faszinierend. Leute, die in der Konzentration bei etwas sind, das macht etwas mit dem Körper und dem Ausdruck. Das einzufangen finde ich ur spannend. Das hat viel mit beobachten und abwarten zu tun. Insofern hat es auch durchaus Ähnlichkeiten mit der Landschaftsfotografie. Menschen zu fotografieren ist so schwierig, weil das Gesicht so beweglich ist. Die richtigen Momente einzufangen, sodass sich ein bisschen etwas von dem mitteilt, wie die Leute sind. Licht spielt bei mir eine ganz wichtige Rolle in meinen Arbeiten. Wie Licht Körper formt und Akzente setzt. Wo das Licht hinfällt. Wie die Person ins Licht tritt. Wie wenig Licht reicht, um etwas anzudeuten. Das ist vielleicht ein extremes Beispiel eines Arbeitsporträts. Das hat auch etwas mit Körperhaltung und Spannung zu tun. Was teilt sich über den Körper mit. Es teilt sich in den Bildern mit, wie Leute in ihre Arbeit vertieft sind. Die völlige Konzentration, die Haltung, da trägt sich jeder anders. Es braucht dazu nicht unbedingt ein Gesicht.

Licht, Körperhaltung, Konzentration I Arbeitsporträt (c) Barbara Herbst

Die Ausstellung „Graphic Nature“ ist direkt in der Werkstatt. Wie wirkt das auf die Besucher*innen?

Es ist kein White Cube, kein steriler Raum. Die Werkstatt kann man auch durchaus ganz gut als Ausstellungsraum nutzen. Es funktioniert wahnsinnig gut in diesem Umfeld mit den Maschinen. Ein Großteil ist hier produziert worden. Das erzählt auch eine andere Geschichte. Es ist ein Spiel mit den Techniken. Den Leuten, die hier waren, hat das sehr gefallen. 

Was gefällt dir an anderen Kunstwerken?

Alles, was zum Näher hinschauen bewegt. Wo man sich Fragen stellt, was ist das. Das mag ich auch an anderen Bildern und Kunstwerken. Wenn es irritiert und Fragen aufwirft und man es nicht gleich zuordnen kann. Die Äste sehen aus wie Finger, knorrige Äste. Es kommen auch oft andere Assoziationen. Für jeden steckt etwas anderes drin. Das Asymmetrische.

Deine Arbeiten sind in Dreierformationen aufgehängt. Was hat es damit auf sich?

Die Serie heißt auch Treelogy. Ich mag die Vorstellung sehr gerne, ich arbeite sehr gerne in Triplets. Ich finde, das macht mehr aus und wirkt spannender. Zwei Bilder können gut miteinander wirken, aber wenn man eine Dreierserie daraus macht, wirkt es viel dynamischer. Es gibt außen etwas und in der Mitte.

Wie kommt es, dass du Fotografin geworden bist? Wo liegen deine Wurzeln?

Mein Vater ist nach Südamerika gegangen, da war ich noch ganz klein. Er hat sich für seine Reise eine Kamera besorgt, eine Kiew, so eine Leica-Billigversion. Das war ein wunderschöner, silberner Apparat, da konnte man vorne dran drehen und unten und oben. Das ist eine meiner frühesten Erinnerungen, dass ich irgendwann auch an diesen Apparat durfte. Das hat mich so fasziniert und lange begleitet. Ich habe mir dann so mit 16 meine erste analoge Spiegelreflexkamera gekauft und drauf losfotografiert. Ich habe ganz lange analog fotografiert. Erst 2011 habe ich dann mit einer digitalen Kamera angefangen. Fotografie ist der Hauptstrang, der bei mir ganz früh weggeht.

Ich war eine Zeit lang als Zeichnerin nach der Schule tätig für Ausstellungen. Ich habe Kunstgeschichte und Architektur und Archäologie studiert. Ganz lange war ich in der Baudokumentation. Da habe ich auch viel gezeichnet. Das ist mein zweiter Strang.

Der dritte Strang bei mir ist die Vermittlungsarbeit. Von Kunstworkshops über Lehrtätigkeiten bis hin zur Kunstvermittlung.

So wie ein Baum mit vielen Ästen.

Ja, genau, so ein bisschen. Es gibt einen Baum, das ist definitiv die Kunst. Und da gehen viele Äste weg in verschiedene Bereiche.

Barbara Herbst ist Fotografin, Druckgrafikerin und Kunstvermittlerin. Sie arbeitet und lebt in Wien. Am 4.3.2022 findet ihre Finissage “Graphic Nature” statt. 

Mehr über Barbara und ihre Arbeiten findest du hier:

www.barbaraherbstphotography.com