Silvana will mehr

Silvana will Schauspielerin werden, Kinder bekommen, ein selbstbestimmtes Leben führen – und vor allem will sie als junges Mädchen ohne Behinderung gesehen werden. Im Interview mit KUSO spricht Silvana über ihre Liebe zur Schauspielerei, ihr Aufwachsen in Wien und was sie sich für ihre Zukunft wünscht.

Hast du Humor?

Ja, hab` ich. Ich finde, ich hab` schwarzen Humor.

Wo bist du aufgewachsen? Erzähl uns von deinem bisherigen Lebensweg!

Aufgewachsen bin ich in Wien, davor lebte ich im 10. Bezirk, bevor wir umgezogen sind.

Was hältst du von dir selbst?

Was ich von mir selbst halte? Ich finde, ich muss immer härter kämpfen als andere. Manchmal habe ich Selbstzweifel. Was mich dazu bringt weiterzumachen, ist eben meine Hoffnung. Ich halte mich an der Hoffnung fest. Dann mache ich auch weiter, egal was andere dazu sagen. Bin ich ein sehr sensibler Mensch? Ja. Und es hat lange gedauert, mich selbst zu lieben. Manchmal habe ich auch Komplexe.

Würdest du sagen, du hast es geschafft dich selbst so zu akzeptieren, wie du bist?

Nicht zu 100%. Ich meine, man ist geboren mit einer Behinderung. Und keiner sagt, einem wie es ist, so zu sein, was du durchmachen musst. Mit 12 Jahren habe ich mal meine Physiotherapeutin gefragt, was habe ich, warum ich behindert bin. Dann habe ich es erfahren und auf einer Seite war es leichter zu wissen, was ich jetzt habe, auf der anderen Seite habe ich mir gedacht, scheiße.

Wie glaubst du, wäre dein Leben ohne Behinderung?

Früher war ich gar nicht selbstbewusst. Ich glaube, hätte ich diese Behinderung nicht, dann wäre es nicht mal dazu gekommen, dass ich Selbstzweifel hätte. Ich bin behindert und die Menschen sehen als ersten Eindruck ein behindertes Mädchen. So ist es schwer, den Leuten zu zeigen, dass ich mehr bin als das behinderte Mädchen.

Glaubst du nicht, dass dich das vielleicht sogar selbstbewusster gemacht hat?

Mit den Sachen, die ich erlebt hab`, hat mich das ziemlich verändert. Ich habe ein ziemliches Umdenken bekommen und die Sachen, die ich erlebt habe, sind scheiße. Ich meine, könnte ich mit meinem zehnjährigen Ich reden. Oh mein Gott, dann hätte ich so viele Sachen gesagt. Kriech nicht Leuten in den Arsch. Ich weiß, dass ich schwerbehindert bin. Und die Menschen, die dich lieben, werden dich so akzeptieren, wie du bist, um mit dir zu tun haben wollen, die werden dich nicht nur als das behinderte Mädchen sehen. Und mach das, was du willst, nicht das zu tun, was du glaubst, du musst tun. Ohne scheiß, ich wollte überhaupt nicht wahrhaben, dass es böse Menschen gibt. Und meine Mutter hat mir das oft gesagt. Nicht alle Menschen sind nett, nicht alle Menschen sind gut.

Was glaubst du, denken andere Menschen über dich?

Menschen denken über mich, dass ich viele Sachen nicht hinbekomme, dass ich zu sensibel bin, dass ich unsicher bin, dass ich nicht klarkomme. Mein Leben, dass ich auf die Fresse fliegen werde, dass ich ausgenutzt werde.

Hast du Angst, dass sich deine Krankheit vererbt?

Ich wünsche mir Kinder. Ich habe mit dem Arzt geredet und er hat mir gesagt, dass meine Kinder nicht behindert sein werden. Das hat mir so alles erleichtert und ein Stein ist mir vom Herzen gefallen. Meine Kinder werden nicht krank, das ist nicht vererbbar. Ich bin krank, weil mein Vater dieses Gen in sich hat. Er ist aber gesund. Er ist ein gesunder Mensch, aber er hat dieses Gen in sich und ich habe nicht dieses Gen in mir. Nur mein Nervensystem ist betroffen. Was meine zukünftigen Kinder nicht beeinträchtigen werden.

Hast du Angst, dass die Krankheit fortschreitet?

Ja, ich hab` echt Angst. Ich will mehr aus mir machen und das versuche ich ja jetzt gerade. Und natürlich, ich habe Angst, dass sich meine Behinderung verschlechtert. Und ich für immer an den Rollstuhl gebunden wäre. Ich will, dass sich meine Krankheit verbessert. Und irgendwie habe ich auch diese innerliche Hoffnung, wenn ich hart daran arbeite und Therapien und Fitness mache, dass ich vielleicht doch ohne Rollator gehen kann. Ich werde kämpfen.

Woher nimmst du die Kraft?

Ich nehme meine Willenskraft da her, dass ich hoffe. Und dass ich glaube. Menschen behaupten und sagen immer irgendwas. Aber das sind nur Meinungen, nicht Tatsachen. Wer sagt, dass du das nicht hinkriegst? Wer sagt, dass du für immer im Rollstuhl endest, wenn es nicht jetzt so ist? Wer sagt, dass es sich nicht verändern kann? Wer sagt, dass es sich verschlimmert und nicht besser werden kann oder so bleibt.

Wie ist das auf Hilfe angewiesen zu sein?

Es ist scheiße. Ich meine, man hat kein selbstbestimmtes Leben zu 100%. Es wäre so anstrengend mir Essen zu machen, deswegen habe ich auch meine Mutter, die mir auch hilft und mir Essen macht und meine Wäsche.

Wie ist deine Beziehung zu deiner Familie?

Die einzige Liebe, die ich von meiner Familie bekommen habe, war von meinen Großeltern. Deswegen hat es mich auch innerlich so umgebracht, als mein Opa gestorben ist. Ich liebe meine Mutter so unglaublich, sehr. Ich würd` für sie sterben und ich würd mein Glück hergeben für sie. Früher hatte ich keine Beziehung zu ihr. Dann hat sie sich von meinem Vater scheiden lassen. Nach der Scheidung ging es ihr besser. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich Eltern hatte, die mir auf eine Art und Weise Liebe gegeben haben. Eine Beziehung zu meinem Vater hatte ich auch nicht.

Wie hat sich das auf eure Familie ausgewirkt, dass du und dein Bruder krank seid?

Na ja, sowas geht natürlich auf die Psyche. Für Eltern ist es immer schwer, wenn das eigene Kind krank ist. Für meinen Vater, er wollte es nicht wahrhaben und so hat er irgendwie unser Leben ein bisschen schwer gemacht. Er ist ein guter Mensch. Aber ich habe keinen Kontakt mit ihm. Besser so. Es ist so schwer, er akzeptiert mich nicht, so wie ich bin. Und du musst dir vorstellen, er hat versucht, uns zu zwingen, gesund zu sein. Das hat einfach unser Leben schwerer gemacht. Viel, viel schwerer. Ich durfte, als ich ein kleines Mädchen war, nicht allein rausgehen. So war ich dann 13 Jahre lang in der Wohnung. Ich verstehe mich jetzt besser mit meiner Mutter, aber trotzdem wünschte ich, ich hätte diese Beziehung mit ihr, die sie mit Mandy hat, meiner kleinen Schwester.

Was liebst du so sehr an deiner Oma?

Meine Oma hat mir Liebe gegeben. Als ich ein kleines Mädchen war, haben wir oft gebacken und sie hat mir Geschichten erzählt und Lieder vorgesungen.

Was für eine Krankheit hast du?

Ich habe HSMN Typ 3 – das ist die hereditäre motorisch-sensible Neuropathie, eine neurologische Erkrankung. Das Nervensystem ist beleidigt. Und die Nerven verkürzen sich. Dadurch, dass man die Nerven nicht bewegen kann, werden die Muskeln beeinträchtigt. So ist mein Körper dann beeinträchtigt. Und wenn man die Sachen dann schwerer bewegen kann, werden die Muskeln schwächer. So kann es dann passieren, wenn ich nicht daran arbeite, dass ich für immer an den Rollstuhl angewiesen bin.

Wie wirkt sich das aus. Wenn du jetzt das vergleichen willst mit einem normalen Menschen, was sind denn Symptome, was ist denn anders?

Ich kann nicht lange gehen. Das Gehen ist schwierig. Ich hab` kein Gleichgewicht. Das Gleichgewicht ist so beeinträchtigt, man ist nicht so stark. Da die Nervensysteme nicht funktionieren, kann ich meine Finger nicht mehr einzeln bewegen. Früher war es viel besser, aber das hat sich dann verschlechtert. Ich habe Innenschuhe, damit ich besser gehen kann.

Ich hab` gehört, du willst einen Assistenzhund, wie würde der dir helfen?

Er würde mir viele Sachen viel vereinfachen. Er wäre wie ein bester Freund für mich.

Was wünscht du dir von anderen Menschen?

Dass sie sich den Aufwand machen, mich nicht als das behinderte Mädchen zu sehen und akzeptiert zu werden, mehr nicht. Das wünsche ich mir. Nicht beurteilt zu werden, dass sie mir eine Chance geben, beruflich, und mir auch die Hand geben, freundschaftlich.

Wie sind deine Erfahrungen mit Schauspielschulen?

Bevor ich an der Film School Vienna aufgenommen wurde, waren die Erfahrungen ziemlich schlecht. Die allererste Schule, da bin ich zufällig darauf gestoßen. Da hab` ich gesehen, ohne Aufnahmeprüfung für eine Schauspielschule. Ich dachte so, das ist Schicksal. Ich habe mich dann ein halbes Jahr davor vorbereitet und habe Privatunterricht genommen bei der Gabi (Leitern des Theater Delphin). Ich hab` dort angerufen davor und denen auch geschrieben, dass ich eine Behinderung habe. Die am Telefon haben mir gesagt, meine Behinderung sei kein Problem. Dann in der E-Mail haben sie geschrieben, dass ich lieber Privatunterricht nehmen sollte. Dann wollte ich es denen aber zeigen, hey, ich kann das und die sollen mich nicht beurteilen. Nur weil ich alle Sachen anders mache, bedeutet es nicht, dass ich schlecht bin. Also bin ich trotzdem dorthin gegangen. Und bevor die Aufnahmeprüfung begonnen hat, haben die mich zur Seite genommen, mich gefragt, warum bist du hier? Wir haben dir gesagt, wir kommen mit dir nicht klar. Wir haben diese Kapazitäten nicht. Und wenn mit dir irgendwas passiert, wir sind schuld. Ich sag nicht, dass du nicht Schauspielerin werden kannst. Weißt du. Aber du solltest Privatunterricht nehmen. Dann bei der zweiten Schule. Die E-Mail habe ich nicht gesehen. Denn genau am Prüfungstag bin ich dort gewesen. Und dann haben die gesagt, ja, die Prüfung war gestern. Oh, ich denk mir so was. Nein, das stimmt nicht.

Und dann?

Dann hab` ich zu Hause diese E-Mail entdeckt und da steht auch, die sind sich nicht sicher, ob sie mit meiner Behinderung umgehen können. Und dann, bei der dritten Schule, die haben nicht nein gesagt, aber auch nicht ja. Sie haben gesagt, wir sind auch nicht sicher, ob wir mit deiner Behinderung klarkommen. Wir müssen auch auf die anderen schauen. Nicht, dass du da langsamer bist und so. Und es hat dann nichts mit dir zu tun, wenn du nicht aufgenommen wirst.

Wie war das dann bei der Film School Vienna?

Mit der Film School Vienna war es dann so. Ich hab` dann die Schule angerufen. Ich hab` mit der Direktorin gesprochen und ihr die Geschichte erzählt, was ich mit den anderen Schulen erlebt hab`. Sie war schockiert und sie konnte es nicht fassen, dass ich das durchgemacht habe und dass ich so diskriminiert wurde. Sie hat mir versichert, mir eine ehrliche Chance zu geben. Bei der Aufnahmeprüfung hab` ich mich dann irgendwie versucht so zu zeigen, als wäre ich nicht behindert, weil ich so diskriminiert wurde. Sie hat mir aber gezeigt, dass es okay ist, behindert zu sein und dass ich den Rollator verwenden soll. Und ich habe meine Monologe vorgesprochen und einer der Jury hat sogar angefangen zu weinen.

Die zweite Runde war ein Impro. Ich bin dorthin und man sollte einen Text in einer halben Stunde auswendig lernen und ich hab` das Stück improvisiert. Am nächsten Tag hab` ich dann direkt einen Anruf bekommen. Die Leiterin meinte dann, du warst einfach der Wahnsinn und sie hat mir dann die Zusage gegeben.

Wie fühlt es sich an, auf der Bühne zu stehen? Was ist das für ein Gefühl?

Ich fühle mich frei. Wenn ich auf der Bühne stehe, fühl ich mich, als wär` ich mehr als das behinderte Mädchen.

Über

Silvana Filipovic, 23, in Wien geboren, ist Schauspielerin und studiert an der Film School Vienna Schauspiel. Im November spielte sie die Rolle der jungen Dora im Stück „Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern“ am Theater Delphin.

Weitere Infos findest du hier:

www.theater-delphin.at

www.filmschoolvienna.com

Hinterlasse einen Kommentar