Kultur in der Sackgasse?

Fabian Burstein ist Autor, Publizist und Kulturmanager. Sein aktuelles Buch „Empowerment Kultur“ ist nicht nur eine Standortbestimmung für die österreichische Kulturlandschaft, sondern insbesondere auch ein Maßnahmenpaket für einen reformierten Kulturbetrieb. Kritik übt er unter anderem an den Seilschaften und Postenbesetzungen in der Kulturszene Österreichs, sowie an Strukturen und fehlenden partizipativen Formaten.

Sehr umfangreich. Sehr gut finanziert. Kulturpolitisch vernachlässigt. Wir haben derzeit das Problem, dass die Vielfalt an Angeboten nicht in einem strategischen, in einem kulturpolitischen Konzept aufgeht. Wie bei allen politischen Feldern ist es wichtig, dass man da eine Vision hat. Wie soll das Thema mit der Gesellschaft matchen? Was soll es für die Bevölkerung leisten? Welche gemeinwohlorientierten Ziele verfolge ich damit?

Das heißt, es gibt sehr viel Kulturangebot, aber man weiß oft nicht, wer dahintersteht oder was der Sinn ist?

Wir müssen uns die Sinnfrage in Bezug auf alle Menschen stellen. Am Beispiel Wien: In Bezug auf die zwei Millionen Menschen, die hier leben. Kulturpolitik ist kein Nischen-Lobbyismus für Kunst- und Kultur-Interessierte, sie ist ein Auftrag für das gesamte Spektrum der Bevölkerung. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, braucht es ein hohes Maß an politischer Diskussion, an Planung, an Verhandlung und an strategischem Aufbau – das haben wir nicht! Wir haben intendantengetriebene Häuser, die sich mit jedem Wechsel neu erfinden, jenseits von politischen Vorgaben agieren, inhaltliche Kehrtwendungen machen, am Publikum vorbei produzieren usw. Das ist das Riesenproblem dieser Stadt.

Fabian Burstein (c) Gerhard Fibi

Du bist nun seit mehr als zehn Jahren auch in Deutschland aktiv. Wie sieht die Kulturlandschaft Österreichs im Vergleich zu Deutschland aus?

Was auffällig ist, sind zwei Dinge. Der erste Punkt: In Deutschland gibt es über 80 Großstädte, die sich in einem harten Standortwettbewerb befinden. In diesem Wettbewerb sind Kunst und Kultur ganz wichtig. Man nähert sich dem Thema also wesentlich strategischer und kalkulierter an und achtet auch mehr auf Compliance. Der zweite Punkt ist, dass das Thema der Seilschaften, von dem auch Postenbesetzungen betroffen sind, in Deutschland eine geringere Rolle spielt. Das geht so weit, dass in Großstädten die Kulturbürgermeister:innen – also das, was hier die amtsführenden Stadträte sind – per Ausschreibung gesucht werden. Österreich muss man wiederum zu Gute halten, dass hier das Bekenntnis zu Kunst- und Kulturfinanzierung wesentlich stabiler ist. In schweren Haushaltslagen schreckt eine deutsche Kommune nicht davor zurück, genau diese Mittel zu kürzen. In Österreich ist das so gut wie nie der Fall.

2022 ist dein Buch „Die Eroberung des Elfenbeinturms“ erschienen. Das war eine sogenannte Streitschrift für eine bessere Kultur. Um was geht es in dem Buch konkret?

Es war zuallererst mal eine Standortbestimmung. Wir haben de facto kaum Sach- und Debattenbücher zu dem Thema. In weiterer Folge ging es mir natürlich auch darum, Lösungen anzubieten. Mein Ziel ist ein reformierter, erfolgreicher Kunst- und Kulturbetrieb. Gerade in einem sich zuspitzenden Kulturkampf muss das Ziel sein, dass wir mit Kunst und Kultur eine positive Wendung herbeiführen. Wir reden ja enorm viel über diesen Kulturkampf, aber Kultur kommt darin nicht als Lösungsstrategie vor. Da wünsche ich mir eine Ermächtigung, ein kulturelle Empowerment.

Wie genau sehen deine Lösungsvorschläge aus?

Wir müssen Kulturpolitik wieder ganzheitlich anpacken und Standortstrategien wagen. Es geht um thematische und strukturelle Vernetzung auf allen Ebenen. Es kann doch wirklich nicht angehen, dass zum Beispiel die Häuser der Bundesmuseen ohne Flottenstrategie nach eigenem Gutdünken den Kulturmarkt bearbeiten. Im Gesundheitssektor wäre so eine Beliebigkeit innerhalb eines Verbundes undenkbar. Selbstverständlich müssen wir auch zeitnah die strukturelle Gewalt im Kultursektor in den Griff bekommen. Da geht mir persönlich mittlerweile die Geduld aus, weil wir von einem „Einzelfall“ zum nächsten stolpern und die Glaubwürdigkeit einer wichtigen gesellschaftlichen Kontrollinstanz aufs Spiel setzen. Verbale Gewalt, sexueller Missbrauch, autokratischer Führungsstil … da gehen die politischen Verantwortungsträger viel zu defensiv damit um. Hier ist unzweideutige Konsequenz gefragt. Wichtig sind auch Aspekte wie Diversität oder Inklusion. Das Motto lautet hier: Weniger reden, mehr vorleben. Wenn wir uns an den Theatern ansehen, wie viele Menschen mit einer Behinderung Teil der Ensembles sind, wird man schon nachdenklich. Letztlich müssen wir auch die vielen identitätspolitischen Debatten im Kulturbetrieb abbilden. Wie schwierig das ist, habe ich am eigenen Leib erfahren, als ich rund um das Thema „kulturelle Aneignung“ in einen Shitstorm geraten bin.

Fabian Burstein (c) Gerhard Fibi

Kannst du uns mehr darüber erzählen?

Bei dieser Erfahrung spielt ja auch das Thema Partizipation mit. Wie können partizipative Kulturformate aussehen?

Ich glaube nicht, dass es entscheidend ist, ob Bürger:innen im Rahmen der Partizipation unmittelbar Teil des künstlerischen Ausdrucks werden. Der Kern von Partizipation ist, dass die Themen und die Darstellungsformen der Lebensrealität der Menschen entsprechen. Warum ist Netflix so beliebt? Weil Netflix ganz viele Menschen berührt. Und zwar nicht auf blöde Art und Weise, sondern mit schlauen, teilweise sehr gut gemachten, Formaten. Netflix will verstanden werden. Diesen Hunger auf Verständnis halte ich für eine partizipative Haltung, die auch dem Kulturbetrieb guttun würde.

Was kannst du uns über deinen neuen Podcast „Bühneneingang“ erzählen?

Am „Bühneneingang“ dreht sich alles um kritische Innenansichten, die sich jenseits der bloßen Betrachtung von Ausstellungen, Theatervorführungen oder Premieren bewegen. Ich hole mir spannende Leute ins Studio, die auch den Mut haben, etwas aufzudecken. Der Podcast erscheint in der Regel alle zwei Wochen. Ich reagiere aber auf aktuelle Entwicklungen mit eingeschobenen Folgen. Abonnieren lohnt sich also.

Was ist für dich #echtkuso?

Diese alltägliche Menschenverachtung, die ich immer häufiger im öffentlichen Raum beobachte, die ist für mich #echtkuso. Viele Menschen denken, ihre ungehobelte Wut sei eine Form von „zivilem Ungehorsam“. Dem möchte ich entschieden entgegentreten.

Fabian Burstein (c) Gerhard Fibi

Über

Fabian Burstein, geb. 1982 in Wien, ist Autor und Kulturmanager. Von 30.08.-01.09.2024 findet das Festival Wiednerstand für Demokratie, Diskurs und Kultur, statt, das er gemeinsam mit Thomas Andreas Beck kuratiert. Zuletzt erschien sein Buch „Empowerment Kultur: Was Kultur braucht, um in Zeiten von Shitstorms, Krisen und Skandalen zu bestehen“ in der Edition Atelier.

Mehr Infos:

https://www.fabianburstein.com/


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