Musik, Licht und Bewegung

Mit dem Theater Delphin hat Gabriele Weber 1998 ein inklusives Theater für ihren schwerstbehinderten Sohn gegründet. Für ihn schrieb sie auch ihr erstes Stück „Niko, der kleine Delphin“. Im Interview mit KUSO erzählt sie über die Beweggründe für das inklusive Theater, aktuelle Aufführungen und den neuen, inklusiven Schauspiellehrgang.

Was waren die Beweggründe, das Theater Delphin zu gründen?

Das war mein verstorbener, schwerstbehinderter Sohn Niko. Ich habe eine Möglichkeit gesucht, für ihn in der Freizeit etwas zu tun. Er liebte Musik, er liebte Licht, er liebte Bewegung. Aus diesen drei Komponenten bastelte ich zu Beginn das Theater Delphin. Ich bin selbst sehr theaterbegeistert. Und ich hab` gemerkt, er ist dadurch ruhiger geworden durch die Musik, wenn ich mit ihm getanzt habe. Er hatte auch eine Therapie mit Licht, die hat er auch heiß geliebt. Er war wie ein Baby. Er hat selbst nicht gehen oder sprechen können. Er war ein sehr zarter Bursche. Für Niko habe ich ein Stück geschrieben., „Niko der kleine schwarz-weiß gestreifte Delphin“. In diesem Stück hab` ich gemeinsam mit sieben schwerstbehinderten Kindern, mit ihren Eltern, mit ihren Geschwistern den gespielt. Es geht um einen Delphin, der schwarz-weiß ist, der keine Freunde findet. Jeder im Meer sagt ihm, wieso er nicht sein Freund sein kann. Dann trifft er ein Menschenkind, mit dem das funktioniert. Ich hab` mit ihm Improvisation getanzt. So hat das Theater begonnen. Aus einer Elterninitiative, aus einem sehr emotionalen Bezug und der Liebe zum Theater. Und dieses steht jetzt schon seit 23 Jahren.

Was ist dein Hintergrund? Hattest du davor schon Erfahrungen im Theater?

Nein, ich bin ursprünglich Röntgenassistentin. Ich hab` immer schon gern geschrieben. Dann habe ich aus emotionalen Beweggründen das Stück „Niko der kleine schwarz-weiß gestreifte Delphin“ geschrieben und mir so im Laufe der Zeit meine Skills angeeignet. Ich hab` dann eine theaterpädagogische Ausbildung gemacht, eine Dramaturgieausbildung, sämtliche Kurse und auch eine Schauspielausbildung neben meinem Job.

Welche Krankheit hatte dein Sohn?

Niko, mein Sohn, hatte eine Mikrozephalie, da ist das ganze Gehirn etwas kleiner und der Körper ist in Mitleidenschaft gezogen, eben auch motorisch, das Sprachzentrum. Man weiß nicht, woher das kommt. Wahrscheinlich von einem Sauerstoffmangel. Er war in seinen 12 Jahren grundsätzlich sehr wenig krank und war halt wie ein Baby.

Wie hat dein Sohn Niko das Theaterstück „Niko, der kleine Delphin“ aufgenommen?

Niko liebte Musik. So bin ich erst auf die Idee gekommen, das Stück zu schreiben. Es war so spannend, wie sehr ihn Licht und Musik beruhigt haben. Daraus hab` ich dann die Idee für das Theaterstück entwickelt. Wir hatten ein Bühnenbild mit einem professionellen Lichtraum, mit einem Hochleistungsprojektor und Lichtkunstplatten von einer Künstlerin. Wir haben da auch Fotos gemacht. Es war so beeindruckend, dass Niko plötzlich seine ganze Spannung im Körper erhöht hat. Er war auch Epileptiker, aber er hat keinen einzigen Anfall in dem Lichtbereich gehabt. Obwohl es ja heißt, dass Menschen mit Epilepsie nicht dem Lichtspektrum ausgesetzt werden sollen. Es war am besten bei Niko dem kleinen Delphin, seinem Stück. Kaum haben wir Niko gespielt, war er ganz da. Es war echt toll.

Das Theaterstück „Niko der kleine Delphin“ (c) Victoria Coeln

Wie ist das Theater am Anfang bei den Leuten angekommen?

Unsere erste Produktion war mit dem Verein „Ich bin O.K.“. Wir hatten zwei Mal 200 Leute hier. Die Leute waren unglaublich fasziniert, weil dieser Lichtbereich, unsere Kostüme, die wir von einer Hetzendorfer Modeschülerin hatten, die auch Mutter eines behinderten Kindes war, waren so professionell. Wir haben eine CD produziert mit einer feinen Musik. Am Ende des Stückes hat man uns gefragt, ob da behinderte Kinder mitspielen. Man hat das nicht gesehen. Man hat nur diese Figuren, diese wunderschönen Kostüme mit diesem Licht gesehen. Das hat wirklich so ausgeschaut, als wäre man im Meer. Das kann man sich vorstellen wie ein großes Tier am Boden und auch auf unseren Körpern.

Was sind die Herausforderungen bei einer inklusiven Theaterproduktion?

Zu Beginn hatten wir eine Gruppe, da war es privat finanziert. Unsere erste Förderung haben wir nach 10 Jahren bekommen. Mit Förderungen ist es immer noch schlimm. Wir sind ein Kunstprojekt, das einen sozialen Hintergrund hat. Kunst und Soziales zusammenzubringen ist einfach unglaublich schwer. Man läuft immer von der Kunst zum Sozialen und umgekehrt. Das geht jetzt schon besser, weil wir jetzt bekannter sind. Aber die Finanzierung ist immer noch das Thema. Man braucht Subventionen, Sponsoren. Wir können uns nicht allein durch Einnahmen finanzieren, weil wir ja nicht so viel spielen.

Welche Hindernisse gibt es für Menschen mit Beeinträchtigungen am Theater?

Die Schwierigkeiten am inklusiven Theater sind vielfältig. Sie sind auch sehr von außen gemacht, weil die Leute ja entweder nebenberuflich Theater spielen, sie sind müde vom Tag, sie sind aber trotzdem so motiviert und arbeiten mit. Wir brauchen natürlich länger, weil wir nicht so viel Probezeit haben. Ein Mal pro Woche proben wir. Das ist auch oft nicht so leicht, weil nach einer Woche vergisst man einiges wieder. Was man mehr braucht im inklusiven Theater, ist Zeit. Es entwickeln sich oft Szenen. Wir arbeiten sehr viel mit der Improvisation. Es gibt sehr viel Diskussion. Wir schauen, was passt. Welche Rolle passt am besten zu jedem. Eine Produktion braucht so circa ein dreiviertel Jahr. Jetzt haben wir auch eine Ensemble-Gruppe, da geht es etwa schneller, so 3-4 Monate.

Hat in der Gesellschaft schon ein Umdenken stattgefunden?

Im Publikum auf jeden Fall. In der Gesellschaft gibt es sicher schon ein Umdenken. Wir haben ein sehr junges Publikum, viele Schüler*innen, die ein großes Interesse an Inklusion haben. Da hat sich schon einiges getan. Vor 20 Jahren war das noch sehr utopisch.

Das aktuelle Stück heißt „Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern“. Warum ist es noch immer ein Tabu für Menschen in der Gesellschaft, dass Menschen mit Beeinträchtigung eine Sexualität haben?

Unser heuriges Jahresthema ist Behinderung und Sexualität. Ich denke, dass es immer noch ein Tabuthema ist in der Gesellschaft über Sexualität zu reden, geschweige denn über Sexualität von Menschen mit einer Beeinträchtigung. Wir haben vor circa zehn Jahren das Stück „Eros“ gespielt, das wir heuer wieder aufgenommen haben. Damals haben wir Interviews gemacht. Wir hatten da unglaubliche Antworten. Heuer hatten wir wieder dieses Stück. Ich muss sagen, es war spannend, weil das Stück auch Diskussionen mit dem Publikum beinhaltet. Ein Darsteller spricht mit dem Publikum. Da habe ich schon mehr Offenheit gehört als vor zehn Jahren. Vom Publikum her war da schon eine Veränderung zu bemerken. Aber grundsätzlich ist das Thema noch immer ein extremes Tabuthema. Vor allem auch, in unserem Stück geht es auch um sexualisierte Gewalt gegen Frauen mit Einschränkung, die in unterschiedlicher Form stattfinden kann, vom Elternhaus ausgehend, von der Arbeitsstätte, von ihrem Umfeld. Da passiert noch sehr viel. Es hat jetzt eine Studie gegeben, dass fast jede Frau mit Einschränkung schon einmal sexualisierte Gewalt erlebt hat.

2024 startet ein neuer Schauspiellehrgang am Theater Delphin. Für wen ist der Schauspiellehrgang gedacht und wieso ist da der Bedarf da?

Wir beginnen 2024 mit einem inklusiven Schauspiellehrgang. Dieser ist einzigartig. Es gibt in dieser Form keinen in Österreich. Weil es Menschen mit Beeinträchtigung wahnsinnig schwer haben an Schauspielschulen. Das war schon sehr lange meine Idee. Letztes Jahr haben wir Dozent*innen gebeten, ob sie mitarbeiten wollen. Was sehr schwierig ist, ist an die Leute heranzukommen. Die Leute sind sehr oft in Tagesstrukturen. Sie sind zwar extrem begeistert bei den Workshops, man kommt aber schwer an die Eltern heran. Jetzt haben wir derzeit zehn Leute. Davon ist die Hälfte von unserem Theater, die schon Erfahrung haben.

Nächstes Jahr gibt es den Schwerpunkt über Frauen. Was genau ist da geplant?

Unser Schwerpunkt nächstes Jahr ist über starke Frauen. Frauen, die sehr viel geleistet haben oder die man übersehen hat. Es gibt zum Beispiel ein Stück über die Sabina Spielrein, die eigentlich nur als Freundin vom C.G. Jung gehandelt wird. Freud und Jung haben die Sabina, ihre Schriften nicht publiziert. Freud hat ein Werk von ihr, ihre Schrift damals als seines ausgegeben. Dieses Thema kommt. Dann bringen wir eine Abwandlung der Trojerinnen, ”Kassandras Geheimnis” dass davon handelt, was passiert wäre, hätten die Frauen von Troja gewonnen.  In dieser sehr utopischen Version will Zeurelius, der Herrscher von Melva, die Erde in eine KI-gesteuerte Galaxie eingliedern. Im Herbst bringen wir „Frau verschwindet“; in dem es um Frauenbilder in unserer Gesellschaft geht. Weiters erarbeiten wir eine moderne Märchenadaption.

Wie ist das Feedback der Zuschauer*innen?

Das Feedback ist sehr positiv. Viele kennen das Theater nicht und können sich darunter noch nicht viel vorstellen oder haben andere Bilder im Kopf. Man verbindet es noch nicht so mit diesem professionellen Anspruch. Bei uns war das von Anfang an sehr wichtig, dass wir professionell arbeiten, dass wir uns Leute holen, die uns coachen, die Regie machen. Dass wir keinen Unterschied machen. Der einzige Unterschied ist der der Darsteller*innen, der aber gar nicht ins Gewicht fällt. Die Figur sitzt vielleicht im Rollstuhl oder drückt sich schlechter aus. Aber wir bauen das sehr in die Figur ein. Es ist immer ein „Aha“ da. Oder ein „Oh, das ist aber professionell“. Unser Publikum ist auch gewachsen.

Die Schauspielerin Ivana Veznikova (c) Theater Delphin

Was sind deine Wünsche für die Zukunft?

Wir haben leider noch ein kleines Theater mit 30 Plätzen. Wir wünschen uns ein größeres Theaterhaus, wir brauchen mindestens 300-400 Quadratmeter, um wirklich arbeiten zu können und Platz für 70 Zuschauer*innen. Hier ist alles sehr klein. Wir wünschen uns mehr Sponsoren, die den Weg mit uns gehen. Es ist noch ein langer Weg, es gibt noch so viel zu tun in dem Bereich. Wir wünschen uns mehr Menschen mit Beeinträchtigung im Theater und im Film. Ich denke, es ist so wichtig, Menschen mit Beeinträchtigung auf der Bühne zu sehen. Ich finde, dass wir das 2023 möglich machen können.

Über

Gabriele Weber ist Leiterin und Intendantin am Theater Delphin. 1998 hat sie das inklusive Theater Delphin im 2. Wiener Gemeindebezirk gegründet. Das aktuelle Stück „Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern“ spielt von 30.11.-2.12.2023. Karten dazu und weitere Infos findest du unter:

www.theater-delphin.at/

Ein Interview von Isabella Friedl und Hannah Richlik

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