Von Wölfen und anderen wilden Tieren

Zu Besuch bei Erika Lutz und WolfGeorg im Atelier ARTquer

Ich betrete das ARTquer, ein Gemeinschaftsatelier in Frastanz. Es ist eine alte Textilfabrik zu einem Atelier und Wohnort umgebaut. Erika Lutz, die Gründerin des Ateliers, begrüßt mich. Wir sind uns nicht sicher, sollen wir uns die Hände schütteln oder nicht. Es ist ja Corona. Wir begrüßen uns mit einem Lächeln und einer Verbeugung.

Ein großer, vier Meter hoher Raum mit Holzstreben an den Wänden, Holzpaletten, Werkbänken und Kreissägen erstreckt sich vor mir. An einem Arbeitstisch sitzt Georg Fitz. Gerade ist er dabei, Flügel für einen Vogel zu gestalten. Für die Federn nagelt er kleine Plättchen aus Holz wie Schindeln übereinander. Die Holzplättchen hat Georg zuvor aus größeren angezeichnet, ausgeschnitten und schwarz bemalt. Jeder dieser kleinen Teile befestigt er mit Nagel und Hammer. Es sind rund 200 Plättchen – pro Flügel. Der Vogel soll den Namen „SchwarzKopfKampfGeier“ tragen.

Die Flügel des SchwarzKopfKampfGeier von Georg Fitz (c) hannahrichlik

Georg Fitz ist 33 Jahre alt und Künstler. Sein Künstlername ist WolfGeorg. Er hat kurze, blonde Haare, trägt eine Brille und einen schwarzen Pullover von St. Pauli. WolfGeorg arbeitet in einer Gasthausküche und bei einem Hausmeister. Er hat ein Faible für Wölfe und Hunde, diese müssen vor allem wild aussehen, spitze Zähne und Krallen haben. WolfGeorg hat ein Chromoson zuviel. Er hat Trisomie 21.

Ich frage mich, wie fängt man an, einen Menschen zu beschreiben? Mit seiner Phsyiognomie oder mit seiner Tätigkeit, mit seiner Größe oder mit seinem Lieblingsbuch? Ich erinnere mich an einen Absatz aus “Der kleine Prinz”, in der der Protagonist erzählt, Erwachsene fragen immer danach, wie groß jemand ist, wie schwer etwas ist, aber nie danach, wie sich etwas anfühlt, wie etwas riecht.

Mir wird bewusst, wie sehr ich darauf fokussiert bin, solche Standardfragen zu stellen. Wahrscheinlich, um einen Menschen besser einordnen zu können.

Erika und ich setzen uns an einen Tisch. Links neben mir hängt ein großes Plakat des Ateliers mit Fotos aller Künstler*innen. Die Ateliergemeinschaft ARTquer hat Erika Lutz vor zwölf Jahren gegründet. Erika Lutz ist Tischlerin, Möbeldesignerin und Pädagogin. Sie hat kurze, dunkelblonde (und auch schon graue) Haare, trägt eine Brille und manchmal auch zwei. Sie erzählt ganz begeistert über die Künstler im Gemeinschaftsatelier. sie kennt (fast) alle Namen der Kunstwerke von Wolf Georg.

Zum Beispiel heißt eines “Arktischer Schwarzer Heulender Wolf II”. Ein anderes seiner Tiere heißt “Tibetische Wölfin”. Für eine Ausstellung hat Erika Georg Fitz einmal gebeten, ein kleineres Tier zu gestalten. Weil japanische Wölfe klein sind, kam es zu diesem Kunstwerk. Er trägt den Namen „Japanischer Wolf“.

Georg Fitz hat ein Faible für Wölfe (c) hannahrichlik

Wir stehen auf und gehen ins Lager. Dort gleich neben der Werkstätte hat Erika Lutz alle Werke der Künstler*innen aufgehoben. Über eine Treppe gehen wir ein Stockwerk höher. Die Treppe hat Erika selbst gebaut. Vor uns breitet sich das riesige Lager aus, in dem alle tierischen Kunstwerke von Georg Fitz beherbergt sind.

Im ARTquer in Frastanz arbeiten Künstler*innen. Manche mögen sagen, sie sind Menschen mit Behinderung. Andere etwa, besondere Menschen oder Menschen mit Handicap. In erster Linie sind es Menschen, die dort arbeiten. Es sind Künstler.

In der Kunstszene bezeichnet man Kunst von Menschen mit Behinderung sowie auch Kunst von psychisch Kranken als “Art Brut”, im angloamerikanischen Raum als “Outsider Art”. Doch ist diese Zuschreibung wirklich notwendig? Erika Lutz ist keine Verfechterin dieser Bezeichnung. “Bei anderen Künstler*innen bezieht man sich auch nicht hauptsächlich auf deren äußere oder geistige Merkmale, wieso dann hier?”

Auf die Frage, was Erika Lutz sich für die Zukunft wünscht, antwortet sie, mehr Selbstbestimmtheit für ihre Künstler*innen und Förderungsmöglichkeiten mit mehr Diversität.

Alle aktuellen Infos zum Atelier ARTquer gibt es unter www.artquer.at

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